Die traurige Geschichte des europäischen Aals

Kaum ein Lebenszyklus der heimischen Fauna ist faszinierender, als der des europäischen Aals. Viele von uns werden ihn wohl noch nie selber als lebendiges Tier gesehen haben – die Angler mal ausgenommen. Anguilla anguilla, so der lateinische Name, lebt zurückgezogen in Höhlen und Verstecken im Schlamm, ist überwiegend nachtaktiv und die Geschichten und Mythen um ihn, sind oft dem Reich der Fantasie entliehen.

Traurige Tatsache ist, dass der Aal aussterben wird. Alle Zeichen deuten stark darauf hin, dass die Rettungsbemühungen allesamt zu spät kommen. Ein Tier, das seit Urzeiten hier sein sorgloses Auskommen hatte, ist stark in Bedrängnis geraten. Für viele Menschen war er Jahrtausende ein wichtiger Teil des Erwerbs und der Ernährung. Sogar in Paris wurde der niederrheinische Aal früher als Delikatesse in den Restaurants verspeist.

Um zu verstehen, warum es so schlecht um ihn bestellt ist, muss man seinen Lebenslauf kennen. Als anadrome Fischart gehört der Aal zu jenen Tieren, die für die Paarung die Seiten wechseln. So gibt es Fische, die leben den größten Teil ihres Lebens im Salzwasser und kehren zur Fortpflanzung zurück ins Süßwasser, so wie der Lachs. Beim Aal ist es umgekehrt. Er lebt sein Leben in unseren Flüssen und zur Vermehrung kehrt er zurück zur Stätte seiner Geburt, in die Sargassosee. Die Sargassosee liegt nahe dem Bermudadreieck in der Karibik. Dies ist eine Distanz von zirka 6.000 km (in Worten: sechstausend). Alle europäischen Aale stammen ausnahmslos dort her. Der Aal ist nicht in der Lage sich hier bei uns zu vermehren. Mit der Verdriftung der Kontinente über die Jahrmillionen hat sich der Weg des Aals ins Geburtsgewässer Zentimeter für Zentimeter verlängert. Sein Körper und jede Faser seines Daseins ist auf diese Laichwanderung ausgerichtet, sonst könnte er diese Leistung nicht vollbringen.

Der Wanderweg des Aals – Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von www.wissenmitlinks.de

Als Larve wird der Aal in der Karibik geboren. Seine Hülle ist mit einem winzigen Tröpfchen Öl versehen. Das Öl gibt Auftrieb und macht die Larve schwimmfähig. Mit dem Golfstrom gelangt sie auf einer zwei bis dreijährigen Reise an die Küsten Europas. Hier angekommen hat sie sich bereits zum Glasaal entwickelt. Durchsichtig und nur wenige cm lang verbringt der Glasaal nun eine Weile in den Brackwasserregionen, um sich dem Süßwasser anzupassen. Es erfolgt der Aufstieg in unsere Flusssysteme. Von nun an nennt er sich Gelbaal, seiner neuen Färbung entsprechend glänzt sein Bauch gelblich. Welchen Weg er sich sucht, entscheidet sein Geruchssinn. Dieser ist derart empfindsam, dass er allein anhand der Geruchsmoleküle, die seine Artgenossen oberhalb im Fluss verströmen, entscheiden kann, ob im entsprechenden Habitat noch ein Platz für ihn frei ist. Gegebenenfalls zieht er weiter.

Der Glasaal (c) Wikipedia commons

Seinen Weg sucht sich der Aal hinauf bis in die kleinsten Kanäle. Auch in den letzten Winkeln unserer Leyen leben die Tiere, von uns unentdeckt.  Dort fressen sie sich innerhalb von 14-18 Jahren ein Fettpolster an, das sie für ihre beschwerliche Rückreise wappnen soll. Die ersten Anzeichen für die Abwanderbereitschaft sind die Vergrößerung der Augen und die Veränderung der Farbe. Die Augen passen sich der Tiefsee an. Sein Bauch wird silbrig bis weiß, weshalb er von nun an Blankaal genannt wird.

Nimmt der Aal in einem offenen Fluss nun noch die Hormone anderer abwandernder Blankaale wahr, beginnt die völlige Wandlung. Dies ist der Startpunkt für die lange Reise zurück in die Region um das Bermudadreieck. Seine Verdauungsorgane entwickeln sich zurück, zugunsten der Geschlechtsorgane. Bis er sein Ziel erreicht und darüber hinaus, ist er nun nicht mehr in der Lage Nahrung aufzunehmen. Alle Energie muss nun reichen bis das Ziel erreicht ist und dies kann bis zu zwei Jahre dauern.

Nach dem Laichakt, der bis heute noch nie dokumentiert werden konnte, verbleibt ein gebeutelter Körper, der seine Aufgabe erfüllt hat. Der Aal stirbt.

Was bedroht den Aalbestand?

Gemessen an 1980 und der Zeit davor ist das heutige Aufkommen von Glasaalen an unseren Küsten auf 1% der Menge geschrumpft, die seinerzeit dort landeten. Der Wink mit dem Zaunpfahl kann deutlicher kaum sein. In diesem Jahr (2013) wurde erstmals seit dem Rückgang vermeldet, dass wieder mehr Glasaale an die Küste Europas gelangt sind als in den Jahren davor. Rettung ist dennoch nicht in Sicht.

Keiner kennt den genauen Grund für das Desaster. Es ist aber vermutlich die Multiplikation der Ereignisse. Als problematisch bis tödlich gelten folgende Dinge für den Schlängler:

  • Querverbauungen: Die Tiere werden in den Turbinen der Wasserkraftwerke auf ihrer Rückwanderung zerhäckselt und geschreddert – zu abertausenden. Überlebensquote 50 %. Bei mehreren hintereinandergeschalteten Kraftwerken entsprechend abnehmende Tendenz. Leider werden immer öfter auch Kleinstanlagen genehmigt und subventioniert. Bei fraglichem Energieertrag der Anlagen wird dennoch eine größtmögliche Vernichtung der Aale und anderer Arten in Kauf genommen. Soviel zu „grünem“ Strom.
Opfer der Wasserkraft (c) Winfried Klein
  • Vergiftung: PCB, Dioxin und andere fettlösliche Gifte. Der Aal lebt im Schlamm, dort wo der Fluss unsere Gifte eingelagert hat, die wir über Jahrzehnte in die Flüsse geleitet haben. Diese Gifte baut der Aal während der Ernährung fortwährend in seine Fettschichten ein. Auf der Rückwanderung in die Sargassosee verbrauchen sich diese Fettreserven. Das Gift wird wieder freigesetzt und gelangt in den Kreislauf zurück – der Aal vergiftet sich entweder daran oder sein Laich ist nicht mehr fortpflanzungsfähig.
  • Schwimmblasenwurm: 1981 wurden in der Weser Aale aus Asien ausgesetzt, die vom Schwimmblasenwurm befallen waren. Die Aale waren zu klein, um geräuchert werden zu können, also entließ man sie in die Weser. Mit ihnen eine vernichtende Fracht, den Schwimmblasenwurm. Innerhalb weniger Jahre waren alle Aale Europas, die Kontakt zueinander hatten infiziert. Der Wurm nistet sich in der Schwimmblase ein und perforiert dieses wichtige Organ der Tiere. Der Aal ist jedoch auf eine intakte Schwimmblase angewiesen, vor allem bei der Rückwanderung in der Tiefsee, um Strömungen zu erreichen, die ihn effizient ans Ziel tragen.
  • Befischungsdruck durch Angler und Fischer, fehlende Habitate, der Kormoran, Verdriftung des Golfstromes, Glasaalfischerei, Ölpest im Laichgebiet.

Die Liste der Bedrohungen ist lang und durchschlagend. Sie hat ihr Ziel erreicht: Der Aal wird aussterben. Bemühungen den Aal künstlich zu vermehren (z.B. beim asiatischen Aal) sind daran gescheitert, ihm die geeignete Nahrung bereit zu stellen.

Es gibt viele Bemühungen und Entwicklungen dem Gau entgegen zu treten:

  • Den EU-Wasserrahmenrichtlinien sei Dank werden unsere Flüsse nach und nach wieder von ihren Korsetten befreit und in die alten Bahnen zurück gelenkt. Die Niers beispielsweise soll bis 2025 zu 40 % wieder in ihren alten Zustand versetzt werden.
  • Die Niederlande haben ein landesweites Entnahmeverbot für den Aal ausgegeben. Die Entnahme ist dort strafbar. Deutschland hinkt hinterher, weil man meint ein Entnahmeverbot würde die Bereitschaft zur Bestandserhaltung in der Anglerschaft zusammenbrechen lassen, so die Verbände. Also hat man sich hierzulande für eine viel zu kurze Schonzeit entschieden, die nur ein kleines Zeitfenster berücksichtigt. Das Schonmaß wurde von 40 auf 50 cm angehoben. Was für ein Unsinn, soll doch ein Schonmaß dazu dienen, einer Art mindestens einmal das Ablaichen zu ermöglichen.
  • Wasserkraftwerke werden mit Auflagen belegt, die jedoch wenig Wirkung zeigen. Es gibt Bemühungen den jährlichen Start der Wanderung abzupassen, um in diesen Zeiten die Kraftwerke abzuschalten, bzw. zu entschärfen (Googlesuchtipp: „Migromat“). EON hatte tatsächlich mal einen Shuttledienst für Aale organisiert, um abgefangene Tiere flussabwärts am Wehr vorbei zu transportieren.
  • Die EU schafft es nicht die spanischen, französischen und portugiesischen Fischer mit einer der Situation angepassten Fangquote für Glasaale zu belegen. Wenigstens die Ausfuhr von Glasaalen nach Asien konnte im letzten Jahr erstmalig durch ein Exportverbot verhindert werden. Dieses Verbot muss allerdings jedes Jahre von den Gremien erneuert werden. Dem Asiaten verschafft der Glasaal (zu Tausenden im Schälchen frittiert gereicht)  ein vergrößertes Geschlechtsorgan, daher werden dafür mittlerweile horrende Summen bezahlt. 1.000 Euro für das Kilo war mal vor ein paar Jahren aktuell. Heutige Werte wollen wir besser nicht zur Kenntnis nehmen.
  • Viele Organisationen und Vereinigungen aus Fischerei und Anglerschaft setzen ihr Kapital und Freizeit in Projekte für die Wiederansiedlung.
  • Der Aal hilft sich zudem selber. Man hat in den letzten Jahren eine erhöhte Resistenz gegenüber dem Schwimmblasenwurm festgestellt. Die Individuenanzahl der Würmer pro Tier soll abgenommen haben.

Aussicht – Und wie geht´s weiter?

Gute Frage. Wir werden gegen neue Wasserkraftwerke wettern, Petitionen unterzeichnen und bei Frau Happach-Kastan immer mal wieder nachfragen, wie es denn um die Fangquoten für den Glasaal in Europa steht.

Blankaal (Männchen)

Einer in unserem Verein, dem NuK,  hat sich den Aal auf den Leib geschrieben, ihn lieb gewonnen. Der sucht seit geraumer Zeit nach Gewässern, in denen der Aal vormals, teilweise schon vor 30/40 Jahren von Anglern eingesetzt wurde, um dann vergessen zu werden. Alte Angelteiche, vergessene Fischaufzuchtanlagen, Tümpel im Wald. Vor ein paar Tagen durften wir wieder einen dieser Tümpel „räumen“. Mit Genehmigung der Unteren Fischereibehörde und im Einklang mit der Rheinfischereigenossenschaft wurden in Kevelaer Aalreusen ausgebracht und die ersten Tiere gefangen. Nicht viele, aber immerhin 6 Stück. Mittels einer Elektrobefischung wurde der Restbestand aufgespürt. 2 weitere Tiere konnten geborgen werden. Die Aale, die wir aus solchen Gewässern einfangen, sind mit riesigen Augen ausgestattet. Perfekt an Tiefseeverhältnisse angepasst. Sie warten teilweise seit 20 Jahren in geschlossenen Gewässern darauf, endlich abwandern zu können.

Die Tiere wurden im Anschluss zum Rhein transportiert. Am Oraniendamm in Kleve, hinter den letzten Aalschockern auf dem Rhein, kurz vor den Niederlanden wurden die Tiere wieder ausgesetzt. So konnten am Nachmittag 8 weitere Aale ihre Reise in die Sargassosee antreten.

M. David während der Fischsicherungsmaßnahme
Fangerfolg mittels Reuse
Auf dem Weg …


… zurück zu den Laichgründen.

Uns ist durchaus klar, dass wir hiermit Tropfen auf heiße Steine tröpfeln lassen, aber wir hören es halt so gerne zischen.

Wer gerne noch ein wenig mehr über den Aal wissen möchte, der kann sich das Portrait des Aals durchlesen, das unser Geschäftsführer Matthias David über den Europäischen Aal verfasst hat.